Das Ausbleiben von Sorgen und Ängsten, Überfluss in großem Maße. Daran denke ich, wenn ich mir das Paradies vorstelle. Vorhersehbarkeit und eine allgegenwärtige Ruhe bestimmen hier das Leben: Alles ist bekannt und bedächtig.
«Ist nicht jedes Paradies eine Zone der Eintönigkeit und der tödlichen
Langeweile?»
Als zentrales Werk reflektiert die Bibel das Weltbild unserer westlichen Kultur über Jahrtausende. Somit ist sie ein guter Zugang für die Auseinandersetzung mit der Unruhe und ihrer Bedeutung für den Menschen. Wenn wir von paradiesischen Zuständen sprechen, meinen wir eine vollkommene Situation, in der keiner unserer Wünsche unerfüllt ist. Es ist der ultimative Ort, an den, nach christlicher Vorstellung, der Mensch nach seinem Tod zurückkehrt, um dort vollkommen und ewig zu leben.
Wirft man einen Blick auf das Paradies der biblischen Darstellung von Adam und Eva, fällt jedoch auf, dass dem Menschen etwas Wichtiges gefehlt haben muss. Denn sobald der Mensch vom Baum der Erkenntnis isst und dadurch Bewusstsein erlangt, funktioniert das paradiesische Gefüge nicht mehr. Die Statik des Paradieses verträgt sich nicht mit dem nach Veränderung strebenden Menschen und ist seinen neuen Bedürfnissen nicht mehr angemessen. Somit ist die Vertreibung aus dem Paradies eigentlich eine Befreiung, statt eine Strafe. Sie ist die logische Konsequenz.
Es heißt „Stillstand ist Rückschritt, Aufhören des Strebens geistiger Tod“ und die Ruhe, die wir uns herbeisehnen, wirkt im nächsten Moment wie ein Widerstand, der uns in unserem Tatendrang und unserer Faszination für Neues nur ausbremst. Es ist doch eigentlich genau das, was das Leben ausmacht: Sich ständig weiterentwickeln, Herausforderungen annehmen, diese meistern und sich immer wieder neu erfinden.
Kann das Paradies also der Sehnsuchtsort und Ziel unseres Strebens sein? Oder ist es nicht vielmehr trügerisch und eine leere Versprechung, die unsere wahren Bedürfnisse nicht zu decken vermag?